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Benjamin Wild

Wenn man selbst anfängt House zu produzieren, will man wahrscheinlich einfach noch mehr Jubel produzieren als das den Vorbildern gelang. Natürlich ist das die richtige Vorgehensweise, trotzdem ist zu bedenken, dass hierzulande und im eigenen Leben ganz andere Sachen abgehen und deshalb die Musik ganz anders klingen müsste. In Frankfurt, Hamburg oder Berlin gehen Menschen aus ganz anderen Gründen auf eine House-Party als in Chicago oder San Francisco. Vielleicht haben Kompakt, Perlon und andere deshalb Minimal-House erfunden. Wie kann nicht nur das Ideal des perfekten Tracks übernommen werden, sondern auch einfließen, was passiert, wenn man sich im Supermarkt eine Tüte Milch für den Morgenkaffee kauft und eine halbe Stunde später liest, dass es zu Tumulten im Bundesrat kam wegen eines Einwanderungsgesetzes, das der Opposition noch nicht rassistisch genug ist? Benjamin Wild hat in zehn Jahren eine Art von House entwickelt, die auf eine versteckte Weise, ohne je explizit zu werden, ganz viel von alledem enthält. In der Nicht-Linearität seiner Musik steckt viel von dem, wie man an den Hindernissen des spätkapitalistischen Lebens doch noch vorbeischlingert ohne zu Fall gebracht zu werden. Diese Musik malt an den strahlenden House-Himmel Wolken, die aber eben ein anderes grau haben als die von Theo Parrish. Welche Punkte der House-Geschichte sind für dich am Wichtigsten? Sind die Helden der Vergangenheit bedeutungsvoll oder geht es für dich mehr um die aktuellen Sachen? Was bedeutet für dich House, was ist das Geile an House, das in anderer Musik nicht möglich ist?

Das Intro der ersten 'From Our Minds To Yours'-Kompilaion auf Plus 8 galt mir lange als Credo. Eine (Frauen)stimme spricht davon, dass Erfahrungen über elektronische Musik 'from our mind to yours' direkt übertragen werden können. Auf Grund seiner Miturheberschaft gehört Richie Hawtin deshalb trotzdem nicht gleich auf den Olymp, für mich zählt eher die Idee. 'Jack had a Groove and from this Groove..' Was ich House nenne, ist schon eher ein persönliches Ding. Allgemein gefällt mir die Art zu feiern, der Respekt, der zwischen den Leuten einfach selbstverständlich ist, das Tempo, der Groove.

Wie kam es zum Cover? Ich finde, die von Dir gewählte Grafik bringt das Verhältnis von Rhythmus, Wiederholung und Bewegung in deiner Musik besser rüber als das bei vielem digitalen Design gelingt. Wolltest du einen Kontrast zu den Modernität symbolisierenden Covern der anderen Force-Inc-CDs und zu Elektronik-Alben allgemein produzieren?

Das Cover ist eine gescannte Ätzradierung meines Vaters Gerd Wild. Für mich ist diese Konstellation interessant, weil einige Parallelen in 'unserem' natürlich seltsam zeitversetzten Schaffen aufgeworfen werden. Die Technik und der damit verbundene Ansatz, mit dem mein Vater damals gearbeitet hat, entspricht in vielem mehr meinem, als beispielsweise ein recht willkürlicher Umgang mit Photoshop und Pixeln. Ich packe ja nicht einfach, etwa mit Reason, drei, vier fertige Loops übereinander, sondern suche so lange nach einer interessanten Struktur - dem eigenen Loop - bis ich sie gefunden habe. Meine Herangehensweise ist deshalb wohl recht analog.

Ich finde in deiner Musik bleibt immer eine gewisse stimmungsmässigen Ambivalenz, Zeichen von Glück und Euphorie werden deutlicher relativiert als bei vielen anderen House-Produktionen?

Ich gebe mir jedenfalls nicht extra Mühe, aufkeimende Euphorie zu ersticken. Ich bin wohl einfach so. Bei meinem Musizieren ist es eines der befriedigendsten Dinge, die Spuren eines gelungenen Loops auszuformulieren und in der Zeit auszubreiten. Ich denke manchmal, wenn ich so richtig überdosierte Musik höre, dass die 'Jungs' wohl so richtig gebangt haben vorm Pult und dabei Teufelszeichen mit ihren Fingern formen. Bei mir sieht das eher anders aus. Ich freue mich im Stillen über jeden gelungenen Einfall und baue spontan, gewissen Eingebungen folgend, einige Schlänker mit ein. Das Arbeiten am Mac, mit Logic Audio, bringt mich dabei ein gutes Stück näher an die Struktur der Musik. Ich höre mir meine Arrangements immer wieder an, bastele an der groben Struktur, den Balken und vertiefe mich zunehmend in den Details. Schön ist natürlich, wenn es dann bei der Aufnahme noch möglich ist, dem werdenden Stück an verschiedenen Stellen etwas live mitzugeben.


Wie steht's mit dem Feiern: Getränke und Tabletten in sich rein schütten. Sind diese Momente wichtig für dich oder siehst du das Nachtleben aus einer professionellen Perspektive?

Drogen sind nicht wichtig für mich. Um tanzbare Musik wirklich zu genießen, muss man eben tanzen, nichts anderes. Darüber hinaus ist das für mich eine sehr angenehme und durchaus etablierte Art mit anderen Leuten auf einer Ebene zu sein ohne sie je vorher gesehen zu haben. Im Idealfall ist es sogar möglich miteinander zu kommunizieren. Jeder der wirklich tiefe Tanzerlebnisse hatte, auch ohne Drogen, wird diese nicht missen wollen: Wenn man die Augen schließt, sieht man einen Film, die Stimmung wandelt sich und wird ruhig und respektvoll.


Was ist jenseits der Musik wichtig? Und wie diese anderen Themen in die musikalischen Zusammenhänge einbringen? Was hältst du von Politisierungsstrategien a la Dial?

Gute Frage. Wichtig sind mir in letzter Zeit zunehmend einfach die Leute, denen ich 'tatsächlich' begnet bin bzw. denen ich begegne. Die spielen ein super wichtige Rolle. Ohne sie wär's einsam und man müsste sich manchmal tatsächlich fragen, ob man auf diesem Planeten gestrandet ist. Ich fühle mich nicht so. Der Titel meines Albums meint in diesem Sinne ein Kompliment an alle Lieben/Interessierten. Was 'uns' verbindet sind natürlich Musik, Kunst, Literatur, vielleicht allgemein Kultur, obwohl ich nicht mehr in dem Maße daran glaube, wie ich's mit Anfang, Mitte 20 gemacht habe. Dials Ansatz von Politisierung ist interessant, weil die Musik für mich damals 1992 in Frankfurt ja gerade ein Ausweg aus einer verfahrenen Situation voller strikter Regeln war. In den 'politischen' Kreisen, zu denen ich damals gehörte, ging es immer um ein selbstbestimmtes Leben, die Wirklichkeit war aber meistens weit davon entfernt. Die Idee, selbst etwas auf die Beine stellen zu können, ohne erst mal den Staat, das Patriarchat usw. abschaffen zu müssen, war super faszinierend. Insofern ist es für mich interessant zu sehen, wie Dave/ Carsten Jost das jetzt macht. Irgendwie passt sein Album verdammt gut in die Zeit, ich stehe allerdings der plakativen Verwendung überlieferter Symbole, etwa dem ausgestreckten Arm mit MG oder den beiden Fahnen der Antifaschistischen Aktion, recht kritisch gegenüber. Ich glaube nicht mehr an einfache Lösungen, lebe lieber ein interessantes Leben und schaffe 'Dinge einfacher Schönheit'. Die will ich allerdings schon als Hinweis auf die Möglichkeit eines Lebens in Freiheit verstanden wissen.


Un promesse de bonheur - ein Glücksversprechen/ eine Glücksverheißung - Stendhal